2 Wochen Nichtstun
Sommer, Urlaub, Muskel-K.o.? Das sagt der Experte!
Endlich Urlaub, endlich gehen lassen. Kann man machen, doch dann kann es sein, dass du dein Training der letzten Wochen komplett ruinierst. Oder nicht? Eine US-Studie jedenfalls gibt Entwarnung. Doch LOOX wollte es natürlich genau wissen und befragte den renommierten Sportwissenschaftler Dr. Dr. Michael Despeghel (59).
LOOX: Der Studie zufolge ist es überhaupt nicht schlimm, im Urlaub auch mal zwei Wochen fünf gerade sein zu lassen. Ab wann setzt denn grundsätzlich der Muskelabbau ein?
Der Muskelabbau geht im Prinzip schon ab der 72. Stunde nach dem letzten Training los. Der Muskel wird schon wieder schlechter. Das ist ein ganz normaler physiologischer Prozess. Auch bei Freizeitsportlern.
Viele unserer Leser gehen täglich ins Gym. Ab wann ist man denn Freizeit- und wann Hochleistungssportler?
Da muss man unterscheiden. Freizeitsportler ist, wer maximal 300 Stunden im Jahr trainiert – zum Vergleich: Leistungssportler haben 1000 Trainingsstunden, Hochleistungssportler über 1000. Der Freizeitfitnesssportler ist nicht unbedingt auf den Punkt trainiert. Der normale Freizeitsportler will im Allgemeinen fit bleiben, möchte, dass sein Gewicht überschaubar stabil bleibt und vielleicht auch eine gewisse Definition haben.
Wenn der Abbau nach 72 Stunden beginnt, sieht man das dann auch direkt?
Die Silhouette des Körpers, d. h. die Veränderung, dass ich plötzlich sage: „Oh, mein Sixpack schwindet, mein Bizeps ist plötzlich dünner, mein Po nicht mehr so straff“, das würde einen deutlich längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, bis sich die Stoffwechsellage verändert. D.h., dass die Zelle sich verändert, die Wassereinlagerung im Muskel, die das Bild vor allen Dingen prägt, eine andere Struktur bekommt.
Wann ist dieser Punkt erreicht?
Das ist ein Punkt, den würde ich vielleicht nach vier Wochen sehen. Wenn man dann sagt, vier Wochen totale Passivität, entschleunigte, entgleiste Ernährung: Pommes, Pizza, ständig Spaghetti, Eiscreme, dann hat der vorher definierte Körper schon eine Veränderung durchgemacht. Alkohol vor allen Dingen ist auch ein Killer. Aber 14 Tage entspannt Urlaub zu machen, das Essen ein bisschen im Griff zu haben, da muss man sich keine großen Sorgen machen, dass dann die Körpersilhouette entschwindet.
Unser Experte Dr. Dr. Despeghel veröffentliche 29 Bücher zu den Themen Prävention, Körper, Geist und Lebensstil die in 11 Sprachen übersetzt wurden und eine Gesamtverkaufszahl von über 1.000.000 Exemplaren aufweisen.
Aufgrund seiner faszinierenden Rhetorik und seiner Fähigkeit, sein Publikum jedes Mal aufs Neue zu begeistern, wurde Dr. Dr. Michael Despeghel bereits zwei Mal der begehrte Titel “Top Speaker des Jahres“ verliehen. Dr. Dr. Despeghels Schwerpunkte sind praktische und alltagsgerechte Empfehlungen zur gesünderen und leistungsfähigeren Lebensgestaltung. Sie entsprechen dem aktuellsten Stand der Präventivmedizin und beziehen entscheidende Aspekte der Psychologie und Arbeitssoziologie mit ein.
Mittlerweile haben sich bereits über 400.000 Menschen vom konkret anwendbaren Nutzen seiner Empfehlungen zur regelmäßigen Bewegung, einer leistungsfördernden Ernährung.
Jetzt kann es sein, dass ich damals im Bio-Unterricht falsch aufgepasst habe, aber wenn ich recht informiert bin: Ist es nicht so, dass der Körper unheimlich gern ungenutzte Muskelmasse, als überflüssig ansieht und dementsprechend in Stoffwechselprozessen eher angeht als beispielsweise Körperfett?
Nein, zunächst nimmt er sich immer die Zuckerreserven. Bis Eiweiß richtig dramatisch substituiert wird, bis es zu einer Atrophie kommt, muss eben schon dieser Prozess eintreten mit einer maximalen Immobilisation.
Gibt es da Studien?
Wir haben da auch mal diesen Versuch gemacht und haben Menschen für eine Woche komplett ins Bett gelegt, die hatten gar keine Bewegung, die durften noch nicht mal die Buchseiten umschlagen, da gab es eine elektronische Hilfe. Die hatten dann 28 % Verlust der Maximalkraft, d. h. das ist eine völlig untypische Situation, da ich ja immer ein bisschen in Bewegung bin. Wenn man jetzt nicht 14 Tage im Bett verbringt, sondern auch mal Treppen steigt, schwimmt, Wandern geht – einfach unterwegs ist, tut man seinem Körper etwas Gutes. Es ist auch gut, mal eine andere Art der Belastung zu haben.
Sie können also Entwarnung geben?
Also diese Panikmache „Hilfe, 14 Tage kein Workout und du hast alles verloren“, wie jetzt diese Untersuchung zeigt, halte ich für ein bisschen übertrieben. Zumal die Mehrzahl der im Fitnesscenter Trainierenden gar nicht auf dem Zenit sind, dass sie eine Maximalkraft ausgeprägt haben. Die Mehrzahl finden wir im submoderaten Trainingsbereich bei 40 – 50% der maximalen Kraft mit viel zu langen Pausen, schlecht strukturierter Trainingssteuerung, und die kriegen gar nicht diese Anpassung in dieser maximalen Form. Und dann hat der Muskel viel mehr Zeit.
Was ist dran, dass der Körper ab dem 30. Lebensjahr insbesondere gern Muskeln abbaut?
Das stimmt. Das macht er schon früher, eigentlich ab 20, jedes Jahr 2 – 3 %. Statistisch gesehen hat der 80-Jährige noch die Hälfte der Muskelmasse eines 20-Jährigen, und das ist ein schleichender Aspekt, den man immer zu beklagen hat. Vor allen Dingen trifft es natürlich denjenigen, der nicht trainiert. Durch Training kann ich das natürlich sehr gut aufhalten.
Also ist derjenige, der fleißig auch im hohen Alter an sich arbeitet, im Vorteil?
Ja, zu 100 %. Eine kleine Übung im Alltag, um so was hinzukriegen, für denjenigen, der sonst nichts macht, wäre, sich in einen Türrahmen zu stellen und rechts und links die Füße gegen die Türzarge zu drücken. Dann die Hände über den Kopf auch rechts und links gegen die Zarge, jetzt maximale Spannung aufbauen. Diese 15 Sekunden halten, sechs Wiederholungen, also sechsmal 15 Sekunden Haltedauer mit 5 bis 10 Sekunden Pause dazwischen. Dann sollte das dem alltagsbedingten Muskelverlust der letzten 48 Stunden entgegenwirken.
Und was ist dran am sogenannten Muskelgedächtnis? Ist da tatsächlich etwas dran, dass man sagen kann, wenn ich mal eine gewisse Leistung gebracht habe und einen Monat lang oder länger nicht mehr trainiere, dass mein Muskel dann wieder schneller drauf anspringt?
Das ist physiologisch gleichzusetzen mit jemandem, der das noch nie gemacht hat. Im Gegenteil, der Untrainierte ist immer im Vorteil – bei ihm geht es schneller, Muskeln aufzubauen. Aber der Trainierte kennt natürlich das ganze Performance-Thema, die Disziplin, mit dem Training anzufangen, beim Training zu sein, sich anzustrengen, regelmäßig zum Training zu gehen. Der Ablauf ist relativ klar gewesen, wenn man das lange gemacht hat und da kommt man schneller wieder rein. Wenn ich mich anstrenge, kriege ich auch bessere Ergebnisse. Das ist, was der Anfänger oft nicht schafft, er merkt dann gerade im Fitness-Workout „Uh, ist ja anstrengend, wenn es was bringen soll“ und dann ist eine Vermeidung eben leider schnell da. Die Komfortzone muss verlassen werden und der Trainierte, der das kennt, vom Muskelgedächtnis her sozusagen, „Ich weiß das, ich bin aus der Komfortzone“, der hat eine bessere Andockmöglichkeit.
Okay, das heißt, am Mythos „Muskelgedächtnis“, dass sich der Muskel quasi meine Anstrengung gemerkt hätte, ist gar nichts dran?
Genau. Wie soll das auch sein? Also letztendlich ist es immer eine Reiz-Reaktion. Ich setze einen überschwelligen Reiz, der Muskel kommt in eine katabole Funktionslage, er wird erschöpft, aufgrund dieser Erschöpfung erholt er sich im Rahmen der Superkompensation, lagert mehr Potenzial an als vorher, um sich vielleicht vor einem neuen Angriff zu schützen. Aber, dass der Muskel sich jetzt etwas merken kann und sagt „okay, da war ja mal was und ich habe hier Reserven“, das passiert in dieser Eiweißsynthese nicht.
Wo wir schon bei Mythen sind, was ist denn da dran, dass viel Proteine oder BCAAs in diesem Prozess den Muskelabbau aufhalten?
Natürlich ist Protein ein wichtiger Makronährstoff, und wenn der grundsätzlich zu wenig zugeführt wird, und die Dosierungsmenge hier wäre ein Gramm pro Kilogramm Körpergewicht und ich liege da nur bei 0,5 Gramm, dann habe ich auch einen beschleunigten Verlust und trinke dann auch zu wenig. Die Kombination aus zu wenig Protein und zu wenig Wasser lässt natürlich den Muskel schrumpfen, aber den Nährstoff braucht er schon. Eine Möglichkeit wäre, zu sagen: „Okay, ich bin im Urlaub und achte darauf, die Proteinzufuhr zu steuern und die Minimalbewegung einzusetzen.“
Aber sich gezielt extra BCAAs als Nahrungsergänzungsmittel reinzupfeifen muss nicht sein?
Nein. Wenn ich es über die Ernährung schaffe, 1 bis 1,5 Gramm Protein zu generieren, dann bin ich bestens aufgestellt. Wer das nicht schafft, der darf an eine Substitution denken, das ist klar, aber zusätzlich bringt das sicherlich nichts.
Also wenn ich sie unterm Strich richtig verstehe, passiert erst mal gar nichts, wenn ich zwei Wochen entspanne. Vorausgesetzt, ich reiße mich ein bisschen zusammen, betreibe keine Völlerei, trinke keinen Alkohol und schwitze nicht zu viel, ohne dabei genügend Wasser zu trinken …
Genau.
Und wie verhalte ich mich also richtig im Urlaub, wenn ich meine Muskeln nicht verlieren möchte?
Im Urlaub habe ich in der Regel die optimale Zeit – nämlich Eigenzeit. Da ein Training einzubauen ist doch ideal. Es muss ja nicht gerätegestützt sein. Wenn ich es mit dem eigenen Körpergewicht mache und gehe in die klassischen Übungen, die große Muskelgruppen ansprechen, sei es Liegestütz, Plank oder Kniebeugen, dann kann ich mir so einen kleinen Workout-Plan zusammenstellen, der vielleicht zehn Minuten dauert. Das mache ich den jeden zweiten Tag und dann habe ich sicherlich eine schön unterhaltene und erhaltende Struktur. Ich würde im Urlaub auf jeden Fall etwas machen, denn die Zeit ist ja geschenkt, da bin ich viel freier als sonst. Zu sagen „Urlaub. Nein, jetzt hau ich mal richtig drauf“, da wird es natürlich Konsequenzen geben, weil dann meistens die Ernährung entgleist – das merkt man nachher auf der Waage.
Dr. Dr. Michael Despeghel erwarb seine Kenntnisse in Deutschland, an der Deutschen Sporthochschule in Köln und der Justus Liebig Universität Gießen, u.a. bei Prof. mult. Dr. Dr. Wildor Hollmann dem Nestor der deutschen Sportmedizin. Es folgten dort auch seine Promotionen in Sportmedizin, Köln und Philosophie, Giessen. Er ist Geschäftsführer der Gesundheitsconsulting Despeghel & Partner und Vorstand der deutschen Gesellschaft für präventive Männermedizin e.V. Darüber hinaus ist er Beiratsmitglied der Deutschen Stiftung für Männer Gesundheit.
Wissenschaftlich arbeitet er am Institut für Sportmedizin der Justus Liebig Universität Giessen und unterrichtet dort u.a. den Masterstudiengang: Klinische Sporttherapie und Sportphysiologie.