Ernährungsexperte im Interview
Das solltest du über Kohlenhydrate wissen
Low Carb, High Carb, keine Kohlenhydrate nach 18 Uhr. Um die Energielieferanten ranken sich viele Mythen. Im LOOX-Interview verrät Ernährungsexperte Dr. Nicolai Worm, was du über Kohlenhydrate unbedingt wissen solltest!
Dr. Worm, sind Vollkornprodukte per se besser als ihre weißmehligen Pendants?
Nein. Ein Vorteil von Vollkornprodukten ist, dass sie ein wenig mehr Mikronährstoffe besitzen, wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe. Der Unterschied ist aber tatsächlich recht marginal. Für die Wirkung auf unseren Blutzucker und Insulinausstoß ist nicht entscheidend, ob wir Vollkorn- oder Weißmehlprodukte zu uns nehmen, sondern der Verarbeitungsgrad der Produkte. Nur das tatsächlich möglichst weitgehend erhaltene Korn im Vollkornschrotbrot (am besten nach Sauerteigführung) bietet die genannten Vorteile. Wenn Sie das volle Korn mahlen, sind diese Vorteile weg.
Verstehe ich Sie also richtig, dass es tatsächlich keinen signifikanten Unterschied macht, ob ich nun Vollkorn- oder Weißmehl-Nudeln esse?
Ich persönlich würde im Leben keine Vollkornnudeln essen. Einfach schon deswegen, weil sie mir überhaupt nicht schmecken und der Mehrwert äußerst gering ist. Mein Tipp: Hartweizengrieß-Nudeln – „al dente“ gekocht – haben von allen Nudelsorten die günstigsten Werte und schmecken auch noch lecker.
Wie sieht die ideale Makroverteilung für einen Menschen aus, der gerne ins Gym geht?
Pauschal ist das nicht zu beantworten, da man auch beim Kraftsport zwischen Schnellraft und Kraftausdauer unterscheiden kann. Auch im Studio gibt es ja sicher Menschen, die nur zum Spinning, Cykling etc. gehen. Und auch hier weiß man nicht, wie stark sich jemand belastet. Will derjenige abnehmen oder seine Leistung steigern? Der eine geht an seine Grenzen, der andere gerät nicht mal ins Schwitzen. Die Glykogenreserve im Muskel spielt vor allem für die Leistungsfähigkeit Ihrer Muskeln eine Rolle. Wenn Sie hingegen abnehmen wollen, sollten Sie sich kohlenhydratarm ernähren. Damit speichern Sie aber wenig Glykogen im Muskel und sind daher bei intervallartigen Höchstbelastungen weniger leistungsfähig.
Aber eine grobe Richtung der Ernährung kann man schon vorgeben – oder?
Was man sagen kann: Die Proteinzufuhr sollte im Vergleich zu den offiziellen Empfehlungen des DGE von 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht bei sportlich aktiveren Menschen angehoben werden. Davon profitiert jeder Sportler. Beim Abnehmen hilft das beim Muskelerhalt, beim Kraft- und Ausdauersport bei der Regeneration. Ganz allgemein kann man auch sagen, dass wir, sofern wir nicht täglich unsere Muskeln intensiv betätigen, weniger Stärke und Zucker zu uns nehmen sollten.
Gibt es Kohlenhydrate, die das Abnehmen fördern?
Ohne zu tief ins Detail zu gehen: Es gibt Kohlenhydrate, die für den menschlichen Körper nicht verdaulich sind – die zur Gruppe der Ballaststoffe zählen, und es gibt auch die „resistente Stärke“, die beim Erkalten von gekochter Stärke entsteht. Diese Substanzen fördern das Abnehmen und die Gewichtskontrolle ganz allgemein: Sie liegen länger im Magen und fördern damit die Sättigung und sie gelangen damit auch langsamer in den Dünndarm. So kommt es auch zu einem schwächeren Blutzuckeranstieg und man vermeidet damit Hungerattacken. Im Darm werden sie von unseren Verdauungsenzymen aufgespalten und fermentiert und es entstehen kurzkettige Fettsäuren, die resorbiert und über den Blutweg zum Gehirn gelangen und dort im Hungerzentrum Sättigungssignale auslösen.
Prof. Dr. Nicolai Worm ist Ernährungswissenschaftler und lebt in München. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Einfluss unseres Lebensstils auf den Stoffwechsel und den entsprechenden Konsequenzen für die Ernährung. Mehr Informationen gibt es hier: www.nicolai-worm.de
In welchen Nahrungsmitteln finden wir Ballaststoffe vorwiegend?
Die besten Ballaststoffe sind die löslichen. Die findet man vor allem in Gemüse, Salat, Beeren, Pilzen und teilweise auch in Hülsenfrüchten. Das sind die wertvollsten Ballaststoffe.
Spielt der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme auch eine Rolle? Ist es besser, morgens Kohlenhydrate und abends Proteine zu essen?
Diese These wurde vermehrt wissenschaftlich untersucht. Es mehren sich die Hinweise darauf, dass es vermutlich tatsächlich besser ist, abends die Kohlenhydratzufuhr zu reduzieren. Persönlich würde ich jedem, der abnehmen will, aber raten, bei jeder Mahlzeit die Kohlenhydrate zu reduzieren.
Welche Kohlenhydrate sind nach dem Sport denn empfehlenswert?
Für engagierte Sportler ist hier sicherlich die Kombination aus Kohlenhydraten und Proteinen ideal. Nehmen Sie diese nach dem Sport auf, ist die Insulinausschüttung stärker und der anabole Effekt größer. Nach dem Sport gibt es nämlich zwei Aspekte, die es einzuhalten gilt. Zum einen das Wiederaufladen des Glykogenspeichers der Muskeln. Als Faustregel gilt hier: Wer sich intensiv beim Sport belastet hat, sollte innerhalb von zwei Stunden nach der Belastung mindestens ein Gramm Kohlenhydrat pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen. Aber Vorsicht: Wer nur ein-, zweimal die Woche Sport macht, dem nutzt das wenig – dem hilft sicherlich, einmal mehr zum Sport zu gehen. Der zweite Aspekt ist die Regenration der Muskeln. Für diese sind vor allem Proteine wichtig.
Unsere Leser sind sportlich aktive junge Menschen, die häufig Probleme mit Fettpölsterchen haben. Vor allem am unteren Bauch. Sind Kohlenhydrate an diesen Fettablagerungen schuld?
Pauschal kann man das nicht sagen. Klar ist aber: Die Wahrscheinlichkeit, Fettpolster reduzieren zu können, ist für die meisten Menschen mit einer Low-Carb-Ernährungsform höher als mit einer kohlenhydratbetonten Ernährung.
Sind Süßigkeiten vor oder nach dem Sport sinnvoll?
Auch das ist abhängig vom jeweiligen Ziel. Wenn Sie abnehmen wollen, sind Sie gut beraten, keine zu essen. Süßigkeiten sind hoch konzentrierte Kalorien ohne Nährwerte. Die kann man als Luxus, wenn man schlank ist und eh Probleme hat zuzunehmen, essen. Auch wenn Sie viel trainieren, ist es überhaupt kein Problem, mal Süßigkeiten zu essen.
Gibt es nur Haferflocken als gesundes Sportlerfrühstück, das sich leicht auf Arbeit umsetzen lässt?
Von allen Getreidesorten hat der Hafer besonders viele Vorteile, die sich nicht durch andere Getreidearten ersetzen lassen. Hafer hat mehr Fett, mehr Proteine und besonders gute Ballaststoffe und sättigt daher besonders gut. Persönlich würde ich auch Eier mit Tomaten bzw. Paprika oder einen Joghurt mit Fruchtsalat empfehlen.
Kartoffeln sind in gekochter Form super und frittiert eine Katastrophe?
Nein, verschiedene Kartoffelsorten wirken sich unterschiedlich auf unseren Körper aus. Vor allem die Blutzuckerwirkung und der Insulinausstoß variieren von Sorte zu Sorte. Manche wirken wie reiner Traubenzucker. Was man allgemein sagen kann: Wenn man Kartoffeln kocht und abkühlen lässt, wird die Stärke in der Kartoffel zum Teil nicht mehr spaltbar. Diese „resistente“ Stärke liefert dann keine Kalorien mehr. Der Effekt ist aber nicht so groß, dass man damit eine kohlenhydratarme Ernährung aufbauen kann.
Was ist so schlimm an Kohlenhydraten?
An Kohlenhydraten selbst ist gar nichts schlimm. Der Lebensstil der meisten Menschen ist heute nur zu sehr von Inaktivität und Fettleibigkeit, Schlaf- und Sonnenmangel geprägt. So entwickeln immer mehr Menschen eine Kohlenhydratstoffwechselstörung: Sie werden insulinresistent. Erst dann werden Kohlenhydrate zum Problem. Immerhin sind zwei Drittel der Deutschen übergewichtig und die allerwenigsten treiben regelmäßig Kraftsport oder Ausdauertraining. Diese Körper können einfach nur sehr schlecht mit Kohlenhydraten umgehen. Wenn Sie hingegen regelmäßig Sport treiben, stellen Kohlenhydrate kein Problem für Ihren gesunden Körper dar.
Ist es nicht am einfachsten, komplett auf Kohlenhydrate zu verzichten, wenn man dauerhaft abnehmen will?
Selbst bei so einer extremen Ernährungsform wie der ketogenen Diät nimmt man noch 20, 30 Gramm Kohlenhydrate zu sich. Ganz ohne ist eigentlich unmöglich. Wenn man abnehmen will, geht es auf lange Sicht ja auch darum, was man machen kann, um am Ball zu bleiben. Und mit einer so krassen Kohlenhydratreduktion halten es viele nicht lange aus. Entscheidend beim Abnehmen ist das Durchhalten einer negativen Energiebilanz. – Sie müssen einfach weniger Kalorien zu sich nehmen, als Sie verbrauchen.
Was ist Ihrer Erfahrung nach das größte Problem beim Abnehmen?
Die Ernährungsumstellung zu finden, mit der man auf Dauer mit deutlich weniger Kalorien vergleichbar gut gesättigt und befriedigt durch den Tag kommt, ohne Heißhungerattacken zu bekommen. Auf Dauer ist das Durchhalten das Problem. Das kriegen Sie nur hin, wenn Sie etwas gerne essen. Das kann Ihnen niemand anderes beantworten. Vielen Menschen schmeckt mediterranes Essen sehr gut. Daher empfehle ich in meinem Flexi-CARB-Konzept genau das. Es schmeckt, hält lange satt und Sie kriegen keine Hungerattacken.
Ihrer Flexi-CARB-Pyramide nach darf man Kohlenhydrate ruhig zu sich nehmen. Diese aber in Maßen und je mehr Sport, desto mehr Kohlenhydrate sind erlaubt. Korrekt?
Richtig, man muss sich die Kohlenhydrate durch Bewegung und Sport verdienen. Gerade der Durchschnittsbürger, der acht Stunden lang am Computer sitzt, mit Auto oder Bahn zur Arbeit fährt und den Feierabend vorm Fernseher verbringt, muss auf seine Kohlenhydratzufuhr achten. Ohne dass negative Auswirkungen auf den Organismus entstehen, kann man die Menge Kohlenhydrate, die wir durchschnittlich zu uns nehmen, nur mit Sport regulieren. Das drückt diese Pyramide aus. Man muss sich seine Nudel- und Brot-Orgien durch Muskelaktivität verdienen.