Der Frauenfußball wird weltweit immer bedeutender. Eine Studie der Uni Würzburg hat sich mit dem Verletzungsrisiko befasst
20. Juli 2023
von PIERRE SCHOBER

Frauen-Fußball-WM

Verletzen sich Frauen leichter als Männer?

Es ist das sportliche Großereignis des Sommers: die Frauen-Fußball-WM in Australien und Neuseeland. Die deutschen Frauen streben trotz schwacher Tests (u.a. 2:3-Pleite gegen Sambia) nach dem Titel. Allerdings personell geschwächt: Leistungsträgerin Carolin Simon (30) fällt mit einem Kreuzbandriss aus.

Es war ein echter Schock für die Frauen-Nationalmannschaft um Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (55). In der Nachspielzeit im Testspiel gegen Sambia verletzte sich Bayern-Star Carolin Simon. Die Diagnose: Kreuzbandriss und WM-Aus. Auffällig ist, dass die Zahl der Kreuzbandverletzungen speziell im Frauen-Fußball besonders hoch zu sein scheint. Denn schon im Oktober 2022 erlitt Publikumsliebling Giulia Gwinn (24/Bayern München) ebenfalls einen Kreuzbandriss. Sie wird bei der WM zwar dabei sein, allerdings nur als Expertin für das ZDF.

Studie erklärt das Verletzungsrisiko im Frauen-Fußball

Da stellt sich die Frage: Haben Frauen ein höheres Risiko für Bänderverletzungen als Männer? Und gilt dies nur für den Fußball? Die Uni Würzburg um Studienleiter Prof. Prof. Heinz Reinders ging dieser Frage nach. Das Resultat: Mädchen haben in der Tat ein deutlich erhöhtes Verletzungsrisiko – speziell, wenn diese in Jungenteams spielen und trainieren.

Für den Experten liegt das Problem aber nicht beim gemischten Training. Prof. Reinders: „Speziell im Breitensport wird kaum auf Belastungssteuerung geachtet. Das heißt: Körperliche Belastungen, die von Mädchen in der Pubertät sowieso schon ein wenig stärker erlebt werden, steigen nochmal deutlich bei Training und Spiel mit Jungen.“ Wichtig ist zu wissen: Geistige und körperliche Erschöpfung erhöht das Verletzungsrisiko zusätzlich.

Dabei betont er aber auch die Wichtigkeit ehrenamtliche Trainer im Breitensport, „aber häufig ist es dort halt so, dass Mädchen in solchen Vereinen eher mit den Jungs trainieren“, so Reinders. Demnach steigt das Verletzungsrisiko bei Mädchen, die nicht regelmäßig in einer vernünftigen, belastungssteuernden Umwelt trainieren.

Geschlechtsspezifische Belastungssteuerung schützt die Spielerinnen

Daher wird der Professor nicht müde, immer wieder auf die richtige Belastungssteuerung zu verweisen. Reinders: „Diese körperliche Erschöpfung erhöht die Prävalenz von Verletzungen deutlich. Das wissen wir aus der Forschung und das bestätigen auch unsere Daten. Als die zwei großen Risikofaktoren habe wir bei uns Bänderverletzungen und Gehirnerschütterungen identifiziert.“

Für die Zahl der Bänderverletzung gibt es eine relativ einfache biologische Erklärung. Prof. Reinders: „Das hat unter anderem mit der Anatomie der Kniescheibe bei Mädchen und Frauen zu tun. Die läuft – zumindest im Durchschnitt – später in die Führung rein. Das heißt, dass der Winkel im Knie größer sein muss, dass die Patella entsprechend einklinkt.“

Daher kommt es bei weiblichen Fußballerinnen häufiger zu Kreuzbandverletzungen. Besonders bitter: Die Ausfallzeit bei einem Kreuzbandriss beträgt im Schnitt sechs Monate – eher länger. Geht man von der alten Faustformel aus, dass man die Dauer der Verletzung benötigt, um wieder das alte Leistungsniveau zu erreichen, kostet ein Kreuzbandriss einen Sportler schnell mal ein Jahr der Karriere.

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Und es kommt noch ein weiterer Faktor hinzu, den viele Trainer nicht auf dem Schirm haben. Prof. Reinders: „Die Daten legen nahe, dass Mädchen und Frauen in bestimmten Phasen des Zyklus eine höhere Prävalenz für Bänderverletzungen haben.“ Womit wir wieder beim Thema Belastungssteuerung wären. Mehr Infos zum Thema Training und Zyklus bekommt ihr unter diesem Link.

Prof. Reinders: „Es muss einfach eine spezifische weibliche Belastungssteuerung sowie spezifische weibliche Trainingsrhythmen geben.“ Dabei sind reine Mädchenmannschaften nicht die Allheilmittel. Prof. Reinders: „Das Entscheidende ist, dass die Mädchen in die richtige Trainingsumwelt kommen. Es spricht ja nichts dagegen, dass eine Spielerin, die sich bei den Jungs wohlfühlt, sich dort gerne weiterentwickelt, dort auch spielt.“

Andere Sportarten machen es dem Fußball vor

Es muss aber halt eine entsprechende, individuelle Belastungssteuerung gewährleistet sein. Dann kann es auch durchaus möglich sein, dass die Spielerinnen davon profitieren, mit Jungs zu trainieren und zu spielen. Prof. Reinders: „Es ist daher gar nicht so sehr die Frage des Wechsels vom Jungs-Breitensport zum Mädchen-Leistungssport, sondern hat eine Spielerin das Talent, das Durchhaltevermögen, die entsprechende Umwelt, um von Anfang an in einem Leistungssportverein gefördert zu werden. Dann ist es sinnvoll, auch auf jeden Fall als Juniorinnenteam geschlossen möglichst lange gegen Jungs-Teams zu spielen. Solange dies körperlich noch Sinn ergibt.“

Andere Sportarten – beispielsweise Handball und Basketball – sind da in Deutschland schon bedeutend weiter. Prof. Reinders: „Wenn ich mich mit Leistungstrainern aus dem Handball und Basketball unterhalte, gucken die mich mit offenen Augen und Mund an, wenn die hören, was im Fußball gängige Praxis ist.“

Allerdings ist eine Übertragbarkeit der Studie auf andere Sportarten nicht direkt 1:1 möglich. Denn viele andere Sportarten haben begriffen, dass eine frühe geschlechtsspezifische Förderung überaus sinnvoll ist.

Ein ganz wichtiger Aspekt ist auch, dass man präventiv und individuell trainiert. Aber auch hier sollte man – ihr ahnt es – die Belastungssteuerung nicht aus dem Blick verlieren. Prof. Reinders: „Ein gescheiter Hamstring, Quadriceps und Antagonist sind natürlich ein sehr schöne ‚Versicherung‘ dafür, dass die Wahrscheinlichkeit einer Bänderverletzung sinkt.“ Denn eine gut trainierte Muskulatur stabilisiert. Dazu helfen vernünftige Aufwärmprogramme (Fifa 11+) und regelmäßiges Krafttraining.

Auch im Gym: Frauen und Männer sind verschieden

In Fitnessstudios sieht man immer wieder Paare miteinander trainieren. Selbst wenn man dieselben Ziele verfolgt, empfiehlt es sich, die Pläne individuell zu gestalten. Prof. Reinders: „Es ist nicht automatisch gegeben, dass die Frau bei der gleichen Übung mit dem gleichen Gewicht eine höhere Verletzungswahrscheinlichkeit hat. Es ist aber einfach so, dass der weibliche Körper in bestimmten Phasen eine ganz andere Belastung zu bewältigen hat – auch was das Herz-Kreislauf-System anbelangt.“ Am Ende des Tages ist auch hier das Thema zyklusbasierte Trainingsbelastung elementar.

Professor Dr. Heinz Reinders

Seit 2007 hat Prof. Dr. Heinz Reinders den Lehrstuhl Empirische Bildungsforschung an der Universität Würzburg inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind Implementation pädagogischer Praxisprojekte, Evaluationsforschung, wissenschaftliche Begleitstudien sowie Sozialisationsprozesse in Kindheit und Jugend sowie Migrationsforschung. 2016 wurde er in die Deutsche Akademie für Fußball-Kultur berufen.

So lief die Studie

127 Spielerinnen aus der 2. bis 4. Liga wurden zu ihren Verletzungshistorien im Juniorinnen-Alter befragt. Am häufigsten erlitten die Spielerinnen Bänderverletzungen sowie Prellungen und Muskelzerrungen. Davon waren besonders Spielerinnen der U15 bis U17 betroffen. Dazu berichtete jede sechste Sportlerin davon, auch mal eine Gehirnerschütterung erlitten zu haben.

Solche Verletzungen in den Jugendbereichen haben schwerwiegende Folgen für den weiteren Karriereverlauf. Prof. Olaf Hoos, Leiter des JMU Sportzentrums in Würzburg: „Wir müssen das Thema sehr viel stärker in die Ausbildung der Trainerinnen und Trainer, aber auch der zukünftigen Sportlehrkräfte integrieren.“

Wir können zusammenfassen: Auch wenn es sich beim Fußball um einen Mannschaftssport handelt, bestehen die Teams aus Individuen. Daher muss im Leistungsbereich unbedingt an der optimalen Leistungs- und Belastungssteuerung gearbeitet werden.

Auch wenn es heute immer noch Trainer vom alten Schlag gibt, die Belastungssteuerung als neumodischen Quatsch abtun, liegt hier aber der Schlüssel für eine optimale sportliche Entwicklung. Nur so kann Verletzungsprophylaxe funktionieren – auch und gerade im Fußball.

Hammer-Auslosung für DFB-Frauen

Bei der Frauen-Fußball-WM in Australien und Neuseeland spielt Deutschland in der Gruppe H gegen Marokko (24. Juli, 10.30 Uhr), Kolumbien (30. Juli, 11.30 Uhr) und Südkorea (3. August, 12 Uhr). In der K.o.-Runde könnte es für die DFB-Frauen dann knüppeldick kommen. Im Achtelfinale ist eine Partie gegen Brasilien oder Frankreich möglich, im Viertelfinale würde beim zu erwartenden Turnierverlauf Europameister England warten. Aber wer Weltmeister werden will, muss eh jeden schlagen.

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