Wie nah sind Kraftsportler wirklich dran an den Klischees über sie?
22. November 2018

Kraftsport und Klischees

Die 7 häufigsten Vorurteile – und warum sie nicht stimmen

Kraftsportler haben Muskeln statt Hirn, werfen ständig Reis, Hühnchen und Anabolika ein und können sich kaum noch bewegen, weil sie so aufgepumpt sind. Das ist nur eine Auswahl immer noch gängiger Vorurteile, mit denen Bodybuilder sich herumschlagen müssen – und das zu Unrecht.

Kaum eine andere Sportart ist so derart mit Klischees behaftet wie der Kraftsport. Natürlich machen es Bodybuildern ihren Gegnern vergleichsweise leicht: Sie unterscheiden sich rein äußerlich vom Großteil der „Normalos“, fallen deswegen immer und überall schnell auf. Ihr Sport ist für sie mehr als das, was bei vielen Menschen auf Unverständnis stößt – seinen Lebenswandel einem Hobby unterzuordnen, das scheint doch ein wenig zu viel. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Körper, der Ernährungsweise und natürlich dem Kraftsport selbst wirkt dabei fremd. Nicht zuletzt deshalb, weil sie offenbar den Lebensinhalt und die einzigen Gesprächsthemen darstellen.

Schon die Einleitung macht deutlich, wie eng Kraftsport und Klischee miteinander verbunden sind – und das, obwohl der Fitness-Gedanke wohl noch niemals so weit verbreitet war in der Gesellschaft. Aber Vorurteile haben einen langen Atem und sind noch dazu hartnäckig. Dass sie im überwiegenden Teil der Fälle gar nicht oder nur mit großen Einschränkungen Tatsachen beschreiben, macht sie deshalb nur umso nerviger. Grund genug also, einen weiteren Versuch zu unternehmen, mit den gängigen Klischees zum Kraftsport und denen, die ihn ausüben, aufzuräumen.

1. Kraftsport ist ungesund
Wo die meisten anderen Sportarten als wichtiger Beitrag zum allgemeinen Wohlbefinden und einer besseren Gesundheit gelten, fällt Kraftsport eher in die „Sport-ist-Mord“-Schublade. Der ständige Umgang mit den Gewichten muss, so die landläufige Meinung, ja zwangsläufig zu Problemen mit Gelenken und den Knochen führen. Außerdem kann es für die Muskeln wiederum auch nicht gesund sein, wenn sie derart strapaziert werden.

Was ist dran?
Die falsche Technik, die falsche Haltung, zu viel Gewicht – kurz: die fahrlässige Ausübung ist beim Kraftsport ein sicherer Weg zu Verletzungen und schlimmstenfalls langfristigen Schädigungen. Das gilt aber in gleicher Weise für jede andere Sportart. Selbstüberschätzung ist für jeden Sportler der größte Feind, davon sind selbst Ausdauersportler, allen voran Läufer, mitnichten ausgenommen.
Umgekehrt helfen gut trainierte Muskeln dabei, allerlei Überlastungsschäden an Sehnen, Bändern und Gelenken vorzubeugen. Die werden einerseits entlastet, andererseits beim Krafttraining gleich mitgefördert. Verletzungsrisiken lassen sich so erheblich reduzieren, von einer besseren Körperhaltung ganz zu schweigen. Denn gezieltes Vorgehen beim Kraftsport kann dabei helfen, bestehende Fehlhaltungen zu korrigieren. Praktisch für den Alltag, weil die üblichen Folgen wie Verspannungen damit vermieden werden können.

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Gemeinsames Krafttraining von Frauen und Männern ist längst keine Seltenheit mehr

2. Das sind alles unbewegliche Muskelberge
Es mag an dem breitschultrigen Auftreten von vielen Kraftsportlern liegen, dass sich die Auffassung durchgesetzt hat, diese wären wegen ihrer Muskeln steif und unbeweglich. Von der Befähigung zur Feinmotorik einmal abgesehen, die sich für viele einfach nicht mit muskelbepackten Kraftsportlern in Übereinstimmung bringen lässt.

Was ist dran?
Richtig ist: Durch das intensive Trainieren der Muskeln erhöht sich deren Spannung. Eine mögliche langfristige Folge sind dabei tatsächlich verkürzte Muskeln, die die Beweglichkeit erheblich einschränken können. Dafür gibt es eine einfache Lösung und die heißt schlicht regelmäßiges Dehnen. Vorzugsweise das aktive Dehnen, denn damit kann gleichzeitig auch der jeweilige muskuläre Gegenspieler einbezogen werden. Damit möglichst der ganze Körper geschmeidig bleibt, sollte das Stretching Brust, Schultern, Rücken, Gesäß, die Oberschenkel und die Hüftbeugemuskulatur einschließen.
Was die Feinmotorik anbelangt, hier gilt ähnliches wie bei den vermeintlichen Risiken für Gelenke, Sehnen und Knochen – Muskeln sind unerlässlich für die Motorik insgesamt. Das ist letztlich auch der Grund dafür, warum ältere Menschen versuchen sollten aktiv zu bleiben und ihre Muskeln zu fordern: Die bauen im Alter ab, was zu einem fortschreitenden Verlust der Bewegungsfähigkeit führen kann. Allerdings sollten direkt nach dem Sport, wenn die Muskeln noch ausgepowert sind, keine feinmotorischen Glanzleistungen versucht oder erwartet werden. Aber damit verhält es sich bei jeder großen körperlichen Anstrengung ähnlich.

3. Die essen nur Reis und Hühnchen
Das Vorurteil ist in sich widersprüchlich, aber das ist ja kein grundsätzliches Hindernis für Klischees. Auf der einen Seite steht die Auffassung, dass Kraftsportler entweder über ihre Trainingserfolge oder über ihre Ernährung reden. Auf der anderen Seite sind viele davon überzeugt, dass sich Letztere ohnehin auf Reis und Hühnchen beschränkt. Ohne Salz natürlich, dafür in rauen Mengen.

Was ist dran?
Bei diesem Klischee fällt es schwer, einen belastbaren Widerspruch zu formulieren. Denn Fakt ist, Reis und Hühnchen gehören tatsächlich zu den beliebtesten Nahrungsmitteln von Kraftsportlern. Die Kombination sorgt zum einen für ein einfaches Füllen der Glykogen-Speicher und zum anderen für einen besseren Muskelaufbau. Da das so außerordentlich gut mit nur zwei Komponenten funktioniert, erklärt sich damit auch die Beliebtheit des Duos.

Allerdings wäre es vermessen, die Ernährungsfrage an dieser Stelle als abgehakt zu betrachten. Denn wie viele Menschen letztlich doch so treffend feststellen: Die Ernährung ist ein elementarer Bestandteil des ernsthaft betriebenen Kraftsports, weshalb sich auch ein Favorit wie Reis ausführlich auf seine Vor- und Nachteile geprüft wird. Irritieren mag lediglich, dass das Thema einen so großen Stellenwert einnimmt, gemessen an der Tatsache, dass der Kraftsport von vielen eher als Hobby ausgeübt wird. Wird das aber regelmäßig und intensiv betrieben, gewinnt die Frage, wie der Körper unter diesen Voraussetzungen am besten zu versorgen ist, natürlich schnell an Bedeutung.

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Reis und Hühnchen, das Essen der Champions?

4. Alle Kraftsportler helfen künstlich nach
Von wegen, hartes Training und exakt kalkulierte Ernährung: Jeder weiß schließlich, dass die Muskeln nur wegen der Anabolika so groß werden. Eines der unschönsten Vorurteile bezüglich des Kraftsports dreht sich um den mutmaßlich gängigen Missbrauch von Steroiden, um den Muskelaufbau zu beschleunigen.

Was ist dran?
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass derartige Substanzen unter Kraftsportlern weder unbekannt waren oder sind. Das ist für alle seriösen Vertreter der Sportart natürlich umso ärgerlicher, weil anabole Steroide schon seit Jahrzehnten einer der Hauptgründe dafür sind, dass die Szene mit so viel Skepsis und Vorurteilen zu kämpfen hat.
Was nicht zuletzt daran liegt, wie lange der juristische Umgang mit den Substanzen unverständlich lasch war: Erst mit dem Inkrafttreten des Anti-Doping-Gesetzes 2015 wurde etwa auch der Erwerb und der Besitz von geringen Mengen Dopingmitteln für das Selbstdoping (also die Einnahme ohne medizinische Notwendigkeit) als Straftat definiert. Die gesetzlichen Regelungen haben dabei jedoch meistens den Leistungssport im Auge, bei dem wiederum, wie Classic Bodybuilder Janik Dreiseitl erklärt, Doping nach wie vor eine gängige Praxis ist, trotz Verbandsregeln und Kontrollen.
Unter Freizeitsportlern hingegen gibt es keinerlei Kontrollen. Das macht das Selbstdoping nicht legal, macht aber dessen Verbreitung deutlich schwieriger einzuschätzen. Der Zugang zu anabolen Substanzen ist jedenfalls trotz aller Beschränkungen durch das Arzneimittelgesetz auch für Hobbyathleten durchaus möglich.

5. Große Muskeln, kleines Hirn
Je größer die Muskeln, desto kleiner das Hirn, so werden Kraftsportler allzu oft betrachtet. Dass Kraft und Hirn auch zusammengehen könnten, kommt vielen Menschen gar nicht in den Sinn, es bleibt der mutmaßliche Gegensatz.

Was ist dran?
Eine anmaßendere Unterstellung gibt es wohl kaum und wahrscheinlich auch keine, die noch mehr an der Oberfläche der Thematik bleibt. Es ist ja nicht einmal ersichtlich, wie der Zusammenhang hergestellt werden soll zwischen mehr Muskeln und weniger Denkleistung. Sicherlich lassen sich in jeder Mucki-Bude Exemplare Kraftsportler finden, die das Klischee des muskelbepackten, leicht debilen Proleten erschreckend vollständig erfüllen.

Aber: Solche Typen gibt es überall, in jeder Sportart, nur vielleicht mit weniger Muskeln. Solche Typen werden auch nicht durch den Kraftsport zu Proleten, sie sind es üblicherweise schon vorher. Wie bei allen hier aufgeführten Klischees muss jedoch ein Großteil der Kraftsportler mit einer Verallgemeinerung klarkommen, die noch dazu die Menschen vornehmlich nach ihrem Äußeren beurteilt. Die Muskelmasse sagt jedenfalls rein gar nichts darüber aus, wie schlau oder selbstverliebt eine Person ist.

Frauen, Kraftsport – und noch mehr Klischees

Man mag sich aufgrund der Vorurteile leicht vertun und den Kraftsport als reine Männerdomäne hinstellen. Das ist allerdings keineswegs so, was die Angelegenheit für Gewichte stemmende Frauen auch nicht eben besser macht. Abgesehen von den üblichen Klischees müssen sie sich häufig zusätzlich zu den gängigen Vorurteilen mit geschlechtsspezifischen Fehlannahmen auseinandersetzen.

6. Kraftsport ist nur was für Männer
Frauen sollten die Finger von den Hanteln lassen, im Kraftsport haben sie nichts zu suchen. Dem Glauben vieler – und das betrifft nicht nur die Männer – nach ist Kraftsport den Männern, dem starken Geschlecht vorbehalten. Außerdem sehen Frauen beim Zumba sowieso viel besser aus.

Was ist dran?
Es ist schwer in Worte zu fassen, wie anachronistisch eine derartige Aussage ist. Noch schwerer ist es in Worte zu fassen, warum sich dieses Klischee so hartnäckig behaupten kann, obwohl Frauenkraftsport seit Jahrzehnten etabliert ist – und auch außerhalb des wettkampforientierten Leistungssports von immer mehr Frauen entdeckt wird. Das erschreckend unzeitgemäße Vorurteil basiert dabei auf einem vollkommen überholten Bild der Geschlechterrollen, wobei der Kraftsport da strenggenommen kein Einzelfall ist. Man denke nur an den Volkssport Nummer 1 in Deutschland und welchen Stellenwert der Frauenfußball gesellschaftlich im Vergleich mit den Männern „genießt“.
Womit gleichzeitig aber ein gutes Beispiel gegeben ist, dass vermeintliche Männerbastionen keineswegs mehr als solche gehandelt werden sollten. Immerhin haben Frauen mit Blick auf die gewünschte äußere Erscheinung bzw. die bekannten Problemchen wie Cellulite, die Leistungsfähigkeit und die allgemeine Gesundheit genauso viel Grund, mit dem Kraftsport anzufangen wie die Männer. Die kurze Antwort auf die Frage, was an dieser Behauptung dran ist, lautet daher (mal wieder): nichts.

7. Kraftsportlerinnen sind männlich
Frauen, die sich um den Aufbau ihrer Muskulatur bemühen, enden zwangsläufig als unattraktive, unweibliche Abbilder von Männern.

Was ist dran?
Abgesehen davon, dass eine solche Aussage absolut unangebracht ist, geht sie auch völlig an der Wahrheit vorbei. Und das gleich aus mehreren Gründen: Bei Frauen setzt beispielsweise der Muskelabbau schon relativ früh ein, weshalb ein (moderates) Krafttraining vielmehr als ein Ausgleich dieser Entwicklung betrachtet werden muss.